Artikel vom 17.06.2010 im Westfälisches Volksblatt
Von Hubertus Hartmann
„Paderborn (WB). Deutschlands Krankenkassen könnten wahrscheinlich jährlich viele Millionen sparen, wenn Bürokratie und die Pharmalobby es nicht verhindern würden.
Mit einem ganz konkreten Fall hat der Bad Lippspringer Rechtsanwalt Nikolaos Penteridis den Beweis hierfür geliefert. Sein Mandant, der 67-jährige Gernot M. aus Paderborn, leidet an altersabhängiger Makula-Degeneration (AMD) – ihm droht die Erblindung. Helfen kann eine Injektion ins Auge.
Dafür gibt es auf dem Markt zwei Medikamente: Avastin von der Firma Roche und Lucentis von Novartis. »Beide haben denselben Wirkstoff, es gibt nur minimale Unterschiede zwischen den Medikamenten«, erläutert der Anwalt für Medizinrecht.
Der Unterschied liegt jedoch beim Preis: Eine Injektionsdosis von Lucentis kostet etwa 1562 Euro und damit fast 27 mal soviel wie Avastin. Angesichts der Finanznot des Gesundheitssystems wäre es für Penteridis »logisch, wenn die Krankenkasse das günstigere, genauso effektive Medikament bezahlte«.
Dem ist aber nicht so. Die Krankenkasse von Gernot M., die Energie-BKK, erstattete ihm die Kosten von etwa 360 Euro für eine Avastin-Behandlung – 58 Euro hat das Medikament gekostet, 300 Euro die Injektion – erst nach langen Schriftwechseln »im Rahmen einer Einzelfallentscheidung«.
Denn das kostengünstige Avastin bezahlen die Kassen eigentlich nur bei der Behandlung von Krebserkrankungen. Wird es für die Bekämpfung der Augenkrankheit eingesetzt, wie hier, dann handelt es sich um einen so genannten Off-Label-Use (das Medikament wird außerhalb der Zulassung angewandt). Und das ist nach deutscher Rechtsprechung nur dann möglich, wenn es kein anderes für die Behandlung zugelassenes Medikament gibt, das genauso effektiv ist.
Avastin-Hersteller Roche müsste lediglich einen Antrag auf Zulassung zur Behandlung von Augenkrankheiten stellen und würde diese auch ohne Probleme erhalten. Der Pharmakonzern weigert sich aber. »Diese Weigerung erhält einen negativen Beigeschmack, wenn man weiß, dass Lucentis-Hersteller Novartis 30 Prozent Anteile an Roche hält und sich durch die Zulassung indirekt selbst finanziell schaden würde«, macht Nikolaos Penteridis deutlich und spricht von einer »Quasi-Monopolposition«. Auf Grundlage von empirischen Daten werde geschätzt, dass es in Deutschland 431 000 AMD-Patienten gibt. »Würden alle mit Lucentis behandelt, kämen auf die Krankenkassen 673 Millionen Euro an Kosten zu, bei Avastin nur 25 Millionen«, rechnet der Medizinexperte vor.“